In Teil eins der dritten Episode von „Vision Inklusion“ sprechen wir mit Mag. Johannes Carniel, Jurist bei Mag. Bernhard Achitz in der Volksanwaltschaft . In dieser Episode geht es um die gegenwärtige Situation von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen. Sie beleuchtet die Hürden, denen Menschen mit Behinderungen in den Beschäftigungs-Werkstätten und am Arbeitsmarkt aktuell begegnen. Im Gespräch werden aber auch schon Lösungsansätze wie das 2-Säulen-Modell angesprochen, welche anschließend im zweiten Teil der Episode näher diskutiert und ausgeführt werden. Weitere Informationen zum Podcast, ein Transkript der Episode, sowie ein Wörterbuch in dem die Fachbegriffe erklärt werden findet man auf der Website der Lebenshilfe Kärnten.
In Teil eins der dritten Episode von „Vision Inklusion“ sprechen wir mit Mag. Johannes Carniel, Jurist bei Mag. Bernhard Achitz in der Volksanwaltschaft . In dieser Episode geht es um die gegenwärtige Situation von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen. Sie beleuchtet die Hürden, denen Menschen mit Behinderungen in den Beschäftigungs-Werkstätten und am Arbeitsmarkt aktuell begegnen. Im Gespräch werden aber auch schon Lösungsansätze wie das 2-Säulen-Modell angesprochen, welche anschließend im zweiten Teil der Episode näher diskutiert und ausgeführt werden.
Weitere Informationen zum Podcast, ein Transkript der Episode, sowie ein Wörterbuch in dem die Fachbegriffe erklärt werden findet man auf der Website der Lebenshilfe Kärnten.
Episode 3: Die gegenwärtige Situation von Menschen mit Behinderungen in Beschäftigungs-Werkstätten und am Arbeitsmarkt
Moderatorin: Dr. Carina Pimpel
Host: Roland Kainz
Gast: Mag. Johannes Carniel, Jurist bei Herrn Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz
Willkommen bei „Vision Inklusion“, dem Podcast der Lebenshilfe Kärnten. Wie schaffen wir einen inklusiven Arbeitsmarkt für alle Menschen in Österreich, was ist das 2-Säulen-Modell und warum ist dieses wichtig für die gesamte Gesellschaft? In diesem Podcast sprechen wir mit Menschen mit Behinderungen und ExpertInnen und suchen nach Lösungen.
Carina Pimpel: Die Lebenshilfe Österreich hat das sogenannte 2-Säulen-Modell entwickelt, das wir auch Bundesminister Dr. Martin Kocher übermittelt haben. Ziel des Modells ist die Schaffung eines inklusiven, durchlässigen Arbeitsmarkts. Die zwei Säulen stehen für einerseits für Einkommens- und andererseits Bedarfssicherung, also die Absicherung des behinderungsbedingten Mehraufwands wie etwa persönliche Assistenz. Das beinhaltet auch die Möglichkeit, aus Werkstätten heraus in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln und auch wieder in Werkstätten zurückzukehren, wenn Arbeitsversuche nicht klappen.
Mein Name ist Carina Pimpel und ich bin in der Lebenshilfe Österreich für die Inklusionspolitik zuständig. Neben mir ist Roland Kainz. Er ist Selbstvertreter in der Lebenshilfe Kärnten und setzt sich für die Rechte für Menschen mit Behinderungen ein. In dieser Episode geht es um die jetzige Situation von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt und sie beleuchtet die Hürden, denen Menschen mit Behinderungen begegnen. Es freut uns, Herrn Mag. Carniel zu begrüßen, er ist Jurist bei Volksanwalt Herrn Mag. Bernhard Achitz und hat federführend den Sonderbericht „Keine Chance auf Arbeit – Die Realität von Menschen mit Behinderungen“ verfasst.
Roland Kainz: Die Volksanwaltschaft hat 2019 den Sonderbericht „Keine Chance auf Arbeit – die Realität von Menschen mit Behinderungen“ veröffentlicht. Können Sie kurz erklären, auf welche Probleme eingegangen wurde?
Johannes Carniel: Ja vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch. Ich freue mich sehr auf die nächste Stunde. Ich glaube man kann gut zusammenfassen, um was es uns ging – nämlich war das in erster Linie das Thema Gleichberechtigung, das Thema Gerechtigkeit, Respekt und die Verhinderung von Armut. Worum ging es in diesem Bericht ganz konkret? Wir fordern, dass Menschen mit Behinderung, die in sogenannten Therapiewerkstätten ihre Arbeit verrichten, nicht nur ein Taschengeld bekommen, sondern einen sozialversicherungsrechtlichen Lohn und wie sind wir dazu gekommen, das war die Volksanwaltschaft geht mit ihren Opcat Kommissionen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. In diesem Zug sind wir auch in Therapiewerkstätten gegangen und haben dort oft die Beschwerden gehört – von den Betroffenen – von den Menschen mit Behinderung, dass sie nur 40, 50, 60, 100 Euro im Monat bekommen und sich die einfachsten Dinge des Lebens nicht leisten können. Aber es waren nicht nur die Menschen mit Behinderung, die sich darüber beschwert haben, sondern auch Betreuerinnen und Betreuer haben ihr Unverständnis immer wieder über dieses System ausgedrückt. Von der Politik wird seit vielen Jahren über dieses Thema gesprochen aber bis dato ist nicht genügend passiert, um diesen Zustand zu ändern. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch ganz besonders Organisationen von Menschen mit Behinderungen und auch Organisationen für Menschen mit Behinderung erwähnen, die seit vielen vielen Jahren auf diesen – aus meiner Sicht unzumutbaren – Umstand hinweisen und auf deren Arbeit konnten wir natürlich gut aufbauen und wollten dieses Thema einer breiten Öffentlichkeit näherbringen.
Carina Pimpel: In Ihrem Bericht steht: „Den meisten Menschen mit Behinderung, denen eine Leistungsfähigkeit von unter 50 Prozent attestiert wurde, haben derzeit nur zwei Möglichkeiten: entweder sie sind in einer Beschäftigungstherapiewerkstätte, beziehungsweise ähnlicher sogenannter Tagesstruktur (Werkstätten) tätig oder sie sind zum Nichtstun verurteilt.“
Roland Kainz: Können Sie unseren Hörerinnen und Hörern diese 50 Prozent-Schwelle erklären und warum sind sie zum Nichtstun verurteilt?
Johannes Carniel: Also wenn das Arbeitsmarktservice, wenn ich ein Mensch bin, der Arbeit sucht oder eine Leistung des Arbeitsmarktservice in Anspruch nehmen möchte und das Arbeitsmarktservice hat einen Zweifel an meiner Arbeitsfähigkeit, dann muss das Arbeitsmarktservice nach der jetzigen Rechtslage eine Untersuchung durchführen lassen. Das passiert über die Pensionsversicherungsanstalt, die die oder den Betroffenen in eine sogenannte Gesundheitsstraße schickt, und dort wird dann von einem Arzt oder einer Ärztin festgestellt, ob mehr als 50 Prozent Arbeitsfähigkeit oder Leistungsfähigkeit besteht oder nicht. Wenn weniger als 50 Prozent dieser Leistungsfähigkeit besteht oder nach Ansicht des begutachtenden Arztes besteht, dann gilt man als arbeitsunfähig, ein ganz grausliches Wort muss ich dazusagen und kann die Leistungen des Arbeitsmarktservice nicht mehr in Anspruch nehmen. Im Normalfall ist es dann so, dass man eben dann nicht mehr als arbeitende Person oder als Person, die einen Arbeitsplatz sucht gilt, sondern als eine zu betreuende Person. Und die betroffenen Menschen arbeiten dann oft in sogenannten Behindertenwerkstätten oder Therapiewerkstätten und bekommen eben dort keinen Lohn. Es ist aber so, dass nicht alle Menschen, die gerne eine Beschäftigung hätten, auch Plätze in den Therapiewerkstätten bekommen. Das heißt, es gibt in manchen Regionen einen großen Mangel an diesen Plätzen, und wenn man nicht das Glück hat, so einen Platz zu bekommen, oder wenigstens so einen Platz zu bekommen möchte ich sagen, dann ist man im Normalfall zum Nichtstun verurteilt. Das heißt, sehr sehr viele Familien wenden sich an uns, wo erwachsene Menschen mit Behinderung zu Hause bei ihren Eltern betreut werden, untertags eigentlich kaum eine Beschäftigung haben. Die Familien widmen sich der Betreuung der betroffenen Person und wir haben das als etwas provokant als Nichtstun bezeichnet, weil das aus unserer Sicht ein Zustand ist und nicht tragbar ist. Und was wir, vielleicht noch eine kleine Ergänzung, besonders kritisieren bei diesen Untersuchungen ist der Umstand, dass nicht im Vordergrund steht, was kann ich, was kann die betroffene Person, was möchte sie machen, sondern was kann sie nicht, wo sind Bereiche da, die im Vergleich zu anderen nicht so gut vorliegen wie bei anderen. Und das ist für uns ein Ansatz, der im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr zu akzeptieren ist.
Roland Kainz: Was glauben Sie war damals der Grund diese 50 Prozent-Schwelle einzuführen und inwiefern ist sie heute veraltet?
Johannes Carniel: Ja also ich glaube die 50 Prozent-Schwelle ist deswegen eingeführt worden, weil in der damaligen Zeit man einfach so gedacht hat. Also ich glaube da ist nichts Böses dahintergestanden, viele Dinge sieht man rückblickend ganz anders und ich würde einfach ganz salopp sagen es war einfach so, so haben viele Menschen einfach gedacht und man darf auch nicht vergessen, wenn man in so einer Therapiewerkstätte ist und nicht mehr als arbeitsfähig gilt, dann hat das insofern auch Vorteile, weil man natürlich gewisse Pflichten nicht mehr hat, wie sie andere arbeitssuchende Menschen haben. Also vielleicht hat man sich gedacht, man möchte es den betroffenen Menschen einfach machen. Nach unserer Erfahrung möchten Menschen, die in solchen Einrichtungen arbeiten es nicht einfach haben, sondern möchten Dinge machen auf die sie stolz sind, Dinge machen die sie gut machen und dafür auch eine Anerkennung bekommen in Form eines Geldes, weil das macht sie auch stolz und das benötigen sie auch, um gleichberechtigt wie alle andere leben zu können.
Carina Pimpel: Ein Kernaspekt wie sie erwähnten ist die Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit. Was würde es denn verändern, wenn der Begriff der Arbeitsunfähigkeit abgeschafft werden würde?
Johannes Carniel: Ja ich nehme an, dass man sich dann an den Bedürfnissen des Einzelnen orientieren würde, es würde wegfallen ein „du bist drinnen“ oder „du bist draußen“, sondern man würde eine Herangehensweise wählen müssen, hier habe ich eine Person, einen Menschen der arbeiten möchte, was benötigt dieser Mensch um einer bestimmten Arbeit nachzugehen. In diesem Zusammenhang muss man auch sagen, dass diese 50 Prozent-Schwelle also aus meiner Sicht vollkommen willkürlich gezogen ist, das ist fast schon absurd, eine Zahl hier zu nehmen um zu beurteilen ob ein Mensch arbeitsfähig ist oder nicht. Also es mag eine kleine Gruppe an Menschen geben, wo man sagen wird, dass eine Arbeit wie wir sie üblicherweise uns vorstellen sehr schwierig durchzuführen ist. Ich denke an Menschen, die an einer basalen Stimulation zum Beispiel bedürfen, aber eine Grenze einzuziehen, die numerisch festgelegt ist, ist aus meiner Sicht vollkommen absurd, das muss ich so drastisch sagen.
Roland Kainz: In einer vorherigen Episode habe ich die Dreiteilung der Arbeitsmärkte erklärt. Der 1. Arbeitsmarkt ist der freie Markt für Unternehmen, da sind die meisten Menschen drin. Der 2. Arbeitsmarkt ist zum Beispiel für Langzeitarbeitslose, die über Förderprojekte finanziert werden und der 3. Arbeitsmarkt ist für Menschen mit Behinderungen, die als arbeitsunfähig begutachtet wurden. Meine Frage ist nun: Wenn ich in einer Werkstätte arbeite und ein Angebot für einen Platz am freien Arbeitsmarkt erhalte, kann ich dann einfach wechseln, obwohl ich als arbeitsunfähig eingestuft wurde?
Johannes Carniel: Ja also theoretisch kann ich wechseln. Also, wenn ich als Unternehmer jemanden einstellen möchte der als arbeitsunfähig gilt, dann wird das möglich sein. Die Wahrscheinlichkeit ist aber äußerst gering. Was ist das größte Problem? Wie ich vorher schon angesprochen habe, sämtliche Leistungen des Arbeitsmarktservice, das heißt Förderungen, die es mir erleichtern sollen, die es der betreffenden Person erleichtern sollen eine Arbeit auszuführen, die fallen weg. Das heißt, theoretisch wäre das möglich aber in der Praxis ist das äußert unwahrscheinlich und wir sehen auch in unserer Arbeit bei den Besuchen in verschiedenen Einrichtungen, dass in ganz seltenen Fällen es gelingt, Menschen die in Therapiewerkstätten arbeiten, in den sogenannten 1. dann auch vielleicht 2. Arbeitsmarkt dabei zu unterstützen, dass sie wieder dorthin wechseln können. Es gibt, möchte ich auch sagen schon immer wieder Initiativen, lokale Zusammenarbeiten mit Unternehmen wo es Schnuppertage gibt, Praktika und da passiert es schon, Gott sei Dank, dass Menschen mit Behinderung nicht nur eine Freude an diesen Tätigkeiten haben, sondern auch in den Unternehmen dann gesehen wird, da haben wir einen Mehrwert und da gelingt es schon das eine oder andere Mal, Menschen zu einem Regelarbeitsplatz, nennen wir ihn jetzt einmal an, zu bekommen. Aber das sind sehr seltene Fälle.
Roland Kainz: Dient die Begutachtung zur Arbeitsunfähigkeit nur dafür, dass ich einen Platz in der Beschäftigungswerkstätte oder betreutem Wohnen erhalten kann? Also nur für den Zugang zum 3. Arbeitsmarkt?
Johannes Carniel: Ja in erster Linie dient die Beurteilung, dass festgestellt wird, bin ich für das Arbeitssystem geeignet oder nicht. Und wenn ich dann nicht geeignet bin, nach diesem Gutachten, dann bleibt mir eigentlich nur die Werkstätte. Also es ist eigentlich der umgekehrte Weg, nicht die Voraussetzung, das ist dann natürlich in der Realität ist das so, für den Besuch der Werkstätte die Arbeitsunfähigkeit, das ist eher umgekehrt, wenn ich arbeitsunfähig bin, sind mir alle anderen Förderungen und Möglichkeiten einen Arbeitsplatz zu bekommen, verschlossen.
Roland Kainz: In einer anderen Episode haben wir die 3-Teilung des Arbeitsmarkts besprochen. Nun wurde in einer anderen Episode gesagt, dass die 3-Teilung des Arbeitsmarktes positiv ist, wenn man vom 2. Arbeitsmarkt in den 1. Arbeitsmarkt wechseln kann. Aber wie komme ich in den 2. Arbeitsmarkt, wenn ich im 3. Arbeitsmarkt bin?
Johannes Carniel: Ja meiner Meinung nach, eine ganz ganz wichtige Frage und da kann ich nur antworten aus unserer Erfahrung sehr sehr schwer. Weil was ist der 2. Arbeitsmarkt? Der 2. Arbeitsmarkt ist ein Bereich, in dem Projekte gefördert werden um Menschen die in, nennen wir sie jetzt einmal in normalen Arbeitsplätzen und diesem 1. Arbeitsmarkt, sich aus verschiedensten Gründen schwergetan haben und in diesen Projekten bekommen sie spezielle Unterstützungen, die auch normalerweise zeitlich begrenzt sind, um wieder an Arbeit an regelmäßige gewöhnt zu werden und eben sich hier leichter einzufinden. Vom 3. in den 2. ist es eben sehr schwer, weil ich muss für den 2. Arbeitsmarkt arbeitsfähig sein und deswegen gelingt es in wenigen Fällen.
Roland Kainz: Die Frage ist ja auch, ob es einen Platz in der Werkstätte gibt. Ich kam mit 44 Jahren in die Werkstätte, zuvor war ich zuhause bei meiner Mutter.
Johannes Carniel: Ja, also das ist ein Thema mit dem wir wirklich sehr oft konfrontiert sind. Denn ich habe vorher davon gesprochen vom Glück einen Platz in einer Therapiewerkstätte zu bekommen. Was ich damit sagen wollte ist einfach: die Plätze sind limitiert, wir haben sehr viele Beschwerden von verzweifelten Familien, die wie ich auch schon vorher gesagt habe, erwachsene Kinder zu Hause sitzen haben und die vor allem im ländlichen Bereich eine kleine Auswahlmöglichkeit an Einrichtungen haben und wenn aus irgendwelchen Gründen, es sind zu wenig Plätze oder man wird nicht genommen von der Einrichtung, dann gibt es einfach für sehr viele Menschen keine Auswahlmöglichkeit mehr.
Wir hatten, ich möchte ein paar Beispiele bringen, eine Familie hat sich an uns gewandt, da wollte die Tochter arbeiten und die Mutter war arbeitslos und musste sich eigentlich umschulen weil die Tochter keinen Platz in der Werkstätte bekommen hat, konnte die Mutter auch sich nicht umschulen lassen und deswegen konnte die Mutter auch dann keine Arbeit annehmen und um das gemeinsame Leben irgendwie aufrechtzuerhalten, war dann auch noch die Großmutter involviert, das heißt das war eigentlich eine Kettenreaktion von „die Tochter bekommt keinen Platz, deswegen ist die Mutter auch eingebunden und kann sich nicht umschulen lassen und die Großmutter ist dann auch noch dabei.“ Ich möchte aber auch noch von einem anderen Fall berichten, damit man ein bisschen ein Gefühl bekommt, wie schwierig es für manche Menschen mit Behinderung ist, in diesen Einrichtungen zu sein. Also ein Klient von uns, der hat eine schwierige Zeit in der Einrichtung gehabt, zumindest war das die Aussage der Einrichtung und man hat zwar angekündigt ja allgemein, dass die Zeit da zu einem Ende kommen müsse aber eines Tages hat man dann beschlossen, er muss die Einrichtung verlassen und man hat die Sachen, seine privaten Sachen in Säcke gepackt, hat ihn ins Auto gesetzt und vor dem Haus seines Vaters rausgelassen mit diesen Säcken. Dies ist jetzt sicher ein Extrembeispiel und ich möchte auch betonen, dass aus unserer Erfahrung, in den meisten Einrichtungen eine ganz ganz tolle und engagierte Arbeit geleistet wird aber es zeigt doch, dass es ein gewisses Machtungleichgewicht gibt zwischen den Menschen die am Arbeitsmarkt keinen Platz finden, auf die Therapiewerkstätten angewiesen sind und diese Plätze in den Therapiewerkstätten dann auch noch vielleicht Mangelware sind, da gibt es schon ganz schwierige Konstellationen oder Situationen.
Roland Kainz: Wieso würde das 2-Säulen-Modell gerade für junge Menschen einen Unterschied machen?
Johannes Carniel: Ich glaube, dass das 2-Säulen-Modell der Lebenshilfe erstens einmal ein ganz ganz toller Beitrag zu dieser Diskussion war, das war wirklich ein ausgezeichnetes Papier und so wie ich die Forderungen und Vorschläge verstehe, würden natürlich alle Menschen mit Behinderung, die zu dieser Zielgruppe gehören, davon profitieren. Aber wenn wir das Beispiel Pensionen hernehmen, wenn man eine Pensionsversicherung hat, wie Menschen, die üblicherweise arbeiten gehen bekommen eine Pensionsversicherung oder zahlen in die Pensionsversicherung ein, dann wird die Pension höher, je länger man und je mehr Geld man in diese Pensionsversicherung einzahlt. Jetzt ist das natürlich für jüngere Menschen leichter, weil sie normalerweise eine längere Zeit haben um arbeiten zu gehen und dann Pensionsversicherungsbeiträge zu zahlen ist es leichter, als für ältere Menschen. Deswegen wäre aus meiner Sicht, wenn es hoffentlich zu einer Systemumstellung kommen sollte, ganz ganz wichtig, gerade im Sozialversicherungsbereich, dass man auf die spezielle Situation von älteren Menschen mit Behinderung Rücksicht nimmt, dass auch die, wenn sie vielleicht nicht auf die Pensionsjahre kommen oder eben die Beitragszahlungen erst sehr spät beginnen, auch eine entsprechende Pension erhalten können, die ihnen ein gutes Leben auch in einer Pension dann garantiert, aber deswegen könnten jüngere Menschen zum Beispiel etwas mehr von diesem Modell profitieren.
Roland Kainz: Können Sie unseren Hörerinnen und Hörern den Begriff der begünstigt Behinderten erklären und was das mit der Ausgleichstaxe zu tun hat?
Johannes Carniel: Ja also der Begriff des begünstigten Behinderten heißt, dass wenn ich einen Grad der Behinderung, einen sogenannten möchte ich fast sagen Grad der Behinderung von 50 Prozent habe, dann kann ich einen Antrag stellen wo das festgestellt wird „ich bin ein begünstigter behinderter Mensch und habe dann einen erhöhten Kündigungsschutz“, wenn ich einen ich sage jetzt sogenannten „normalen“ Arbeitsplatz habe. Umgekehrt ist es so, dass Unternehmen ab 25 Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern verpflichtet sind, einen Menschen, zumindest einen Menschen der als begünstigter Behinderter eingestuft wurde, zu beschäftigen. Das heißt pro 25 Arbeitnehmer ein Mensch, der die begünstigte Behinderteneigenschaft hat. Jetzt ist es so das, leider muss ich sagen, die Mehrheit der Unternehmen nicht so viele Menschen einstellen wie sie eigentlich müssten, so viele Menschen mit Behinderung einstellt und die können dann eine sogenannte Ausgleichstaxe zahlen. Das heißt, das sind gestaffelt ein paar 100 Euro im Monat die dann in den Ausgleichstaxenfonds eingezahlt werden, um dieser Verpflichtung, begünstigte behinderte Menschen einzustellen, nicht nachzukommen. Aus diesen Geldbeträgen, die in diesem Ausgleichstaxenfonds gesammelt werden, werden dann verschiedene Projekte, verschiedene Förderungen integrativer Betriebe finanziert und ja so hängt die Ausgleichstaxe mit dem Begriff der begünstigt Behinderten zusammen.
Roland Kainz: Welche Rolle spielt die Ausgleichstaxe in diesem ganzen System – behindert oder fördert sie Betriebe, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen?
Johannes Carniel: Ja wie ich schon gesagt habe, also weniger als 75 Prozent der Unternehmen erfüllen diese Verpflichtung, das heißt, wenn man sich nur diese Zahl ansieht, dann ist der Effekt, die Wirkung der Förderung eher gering. Auf der anderen Seite glaube ich wäre es ganz ganz wichtig, nicht nur über Zahlungen, die das Unternehmen zahlen müsste spricht, sondern ich glaube der Knackpunkt wäre den Unternehmen durch möglichst viel Information näher zu bringen, welchen Vorteil sie dadurch haben, dass sie Menschen mit Behinderung einstellen. Ich glaube, da gibt es bereits sehr viele Versuche, aber das ist immer noch nicht in einem genügenden Maß realisiert, ich glaube es gab im Laufe der Geschichte so viele Gruppen, wo man sich nicht vorstellen konnte, dass sie dies oder jenes machen können und dann wenn es passiert, kann man sich rückblickend gar nicht vorstellen, dass es mal anders war. Ich mein in Österreich musste glaub ich noch in den 70er Jahren eine Ehefrau zumindest theoretisch die Einwilligung ihres Mannes haben, um einen Arbeitsplatz anzunehmen und heute kommt uns das vollkommen absurd vor und Frauen in Führungspositionen sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit geworden, auch wenn es da natürlich noch viel zu verbessern gibt und ich glaube, das müsste auch der Zugang sein, dass Menschen, die Unternehmen führen und dort Entscheidungsträger sind auch präsentiert bekommen, welche Vorteile sie davon haben und das es nicht nur eine Verpflichtung ist, 25 Arbeitnehmer oder wie auch immer. Sondern, dass es ein echter Vorteil ist, weil halt die Vielfalt im Unternehmen dadurch vergrößert wurde.
Carina Pimpel: Sie sprechen es an, also um die Vielfalt im Unternehmen zu fördern braucht es auch eine Bedarfssicherung, das haben wir im 2-Säulen-Modell in der 2. Säule abgebildet. Wie wird denn gerade der Hilfsbedarf bestimmt, wann hat ein Mensch mit Behinderung ein Recht auf persönliche Arbeitsassistenz?
Johannes Carniel: Ja also der Hilfsbedarf, das kommt darauf an welcher das ist, also das Pflegegeld zum Beispiel wird halt, da erfolgt die Einstufung durch ein Gutachten eines Arztes oder einer Pflegefachkraft bei der Behindertenhilfe der Länder. Da gibt es auch Gutachten, da gibt es zum Beispiel in der Steiermark einen ausgelagerten Verein, der Sachverständige aus den verschiedensten Fachrichtungen hat, aus dem medizinischen Bereich, psychologischen, sozialen oder pädagogischen Bereich und diese Sachverständigen verfassen dann ein Gutachten und das orientiert sich dann halt an den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen. So werden einmal diese Hilfebedarfe festgestellt. Auf die Frage nach dem Recht auf persönliche Assistenz, da kann man gleich sagen, dass es keinen Rechtsanspruch gibt und das würd ich gleich unter die Reihe der Probleme einreihen die auf jeden Fall gelöst werden müssen weil, das kann natürlich nicht sein, dass ein Mensch bei dem sogar festgestellt nach dem jetzigen System, dass er arbeitsfähig ist, dass er dann nicht die Unterstützung bekommt oder keinen Rechtsanspruch darauf hat, diese Unterstützung zu bekommen um diesen Arbeitsplatz auszufüllen, um diese Arbeit zu machen. Was jetzt die persönliche Assistenz ist, da könnten wir auch sprechen, wie tief wir da gehen sollen, ich weiß jetzt nicht wie tief wir da gehen sollen, aber es ist sicher ein ganz ein wesentliches Werkzeug, um Menschen in den Arbeitsmarkt hineinzubekommen.
Roland Kainz: Mit dem 2-Säulen-Modell soll es dann so sein, dass mit dem Geld der Bedarfssicherung man sich selbst eine Assistenz buchen kann, zumindest für die Stunden, wo man eine Assistenz benötigt. Vor allem, weil man dann die Assistenzperson selber aussuchen kann.
Johannes Carniel: Ja also das finde ich, ist ein ganz ganz wichtiger Punkt, selbstverständlich müssen Menschen mit Behinderung eine Mitsprache, eine Wahlmöglichkeit haben, welche Assistenzpersonen Teil ihres Lebens werden. Also wir sind so gewohnt, immer aussuchen zu können von wem wir etwas kaufen wollen, von wem wir etwas haben wollen und so und warum sollen dann Menschen mit Behinderung nicht eine ganz weitausgebaute Wahlmöglichkeit haben, Assistenzpersonen selber auszusuchen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiges Thema auch anschneiden und zwar prinzipiell können ja schon Menschen mit Behinderungen die Assistenzpersonen benötigen diese aussuchen. Da gibt es auch das sogenannte Dienstgebermodell, das heißt die Person mit Behinderung, der Mensch mit Behinderung ist wie der Arbeitgeber der Assistenzperson. Da muss man wirklich aufpassen, wir hatten einige Beschwerden, da werden oft freie Dienstverträge abgeschlossen und diese freien Dienstverträge gelten aber nicht als freie Dienstverträge und das kann nach sich ziehen, dass Menschen mit Behinderung, die die Leistungen dieser freien Dienstnehmer in Anspruch genommen haben, im Nachhinein noch viel Geld zurückzahlen müssen. Das heißt, da muss man sehr aufpassen aber um noch mal Ihre Frage zusammenzufassen, jeder Schritt, der es mir erleichtert, Assistenzpersonen auszusuchen und mir damit mehr Unabhängigkeit bringt, ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt und ich glaub, dass das 2-Säulen-Modell hier sehr vernünftige Vorschläge gemacht hat.
Carina Pimpel: Wo liegt denn im jetzigen System die Problematik der Bedarfssicherung?
Johannes Carniel: Ja ich würde es ganz kurz zusammenfassen. Das Problem liegt da, dass die Menschen nicht die Unterstützung bekommen, die sie benötigen oder zumindest nicht in allen Fällen und das betrifft wirklich alle Bereiche, also das fängt an bei Heilmitteln, das geht weiter zur persönlichen Assistenz, wir haben ja vorhin von der persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz gesprochen, ein mindestens ebenso wichtiges Thema ist die persönliche Assistenz im sogenannten Freizeitbereich, aber es gibt auch nicht die nötigen Unterstützungen für Kinder im Reha-Bereich, also das ist wirklich endlos. Also wenn man sagt, wo liegt die Problematik bei der Bedarfssicherung kann man es zusammenfassen, dass sehr sehr viele Menschen nicht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.
Carina Pimpel: Auch am 2-Säulen-Modell haben wir das Problem thematisiert, einen ressourcen- und stärkenorientierten Ansatz zu wählen statt eines defizitorientierten Ansatzes, wie es derzeit mit dem medizinischen Modell ist. Was würde denn so eine Änderung bewirken, also der Blick hin zu den Stärken und weg von den Schwächen?
Johannes Carniel: Ja in erster Linie wäre mal der Mensch im Zentrum, der Mensch als Ganzes und nicht ein Teilbereich des Menschen, nämlich seine Krankheiten. Nach der ICD-Klassifikation steht halt die Krankheit im Vordergrund und es gibt ja schon gute Beispiele für andere Beurteilungen, die sogenannte ICF-Klassifikation wo man mehr das Ganze, das gesamtheitliche Bild des Menschen, betrachtet, ist dann die Grundlage für die Förderungen und für die Feststellung, welcher Bedarf ist da und das gibt es ja auch in Schweden, zum Beispiel ist das eine Selbstverständlichkeit, dass nach diesen Kriterien die Bedarfe festgestellt werden.
Carina Pimpel: Was würde dies für einen Unterschied in der Bewertung der Arbeitsunfähigkeit ausmachen?
Johannes Carniel: Ja also da möchte ich zum Anfang zurück, dass die 2-Teilung wegfällt. Also es kann nicht sein, dass wir Menschen einteilen in die Gruppe der Arbeitsfähigen und die Gruppe der Arbeitsunfähigen. Bei einem Wegfall würde es kaum eine reine Arbeitsunfähigkeit geben oder im Idealfall überhaupt keine Arbeitsunfähigkeit und vor allem diese willkürliche Grenze würde wegfallen. Ein ganz wichtiger Bereich wäre ja, dass nicht nur ein Mediziner jetzt feststellt sondern in meinem Idealfall würde ein Berater ja sozusagen mit der Person, die Unterstützung braucht gemeinsam erarbeiten, was genau, an welchen Rädchen können wir, müssen wir drehen, damit sie oder du das machen kannst, was du gerne machen möchtest und da ist sicher ein Mediziner ein wichtiger Experte oder eine Medizinerin, aber kann nicht der einzige sein.
Roland Kainz: Ich habe von einem Fall gehört, da ist ein Mensch mit Behinderung der in einer Werkstätte beschäftigt ist und in einem Wohnhaus wohnt, etwas geerbt hat. Dieses Geld wurde dann aber anteilsmäßig für die Begleitung verwendet. Kann das sein, warum ist das passiert?
Johannes Carniel: Ja also bei diesen Themen muss man immer sich anschauen, welche Leistungen bekommt man nach welchem Gesetz. Ganz allgemein kann man sagen, dass sich in den letzten Jahren schon einiges hier verbessert hat, weil in den Gesetzen der Bundesländer das Vermögen nicht mehr, in einem Bundesland ist es noch drinnen, wenn man die Kostenbeiträge die für die Betreuung in einer Therapiewerkstätte oder in einer Wohneinrichtung zu zahlen sind, wird das Vermögen eigentlich nicht mehr einbezogen. Aber was natürlich einbezogen wird, ist das Einkommen. Das heißt, wenn ich jetzt etwas erbe und daraus ein regelmäßiges Einkommen auch bekomme, zum Beispiel ich erbe ein Haus und da gibt es Vermietungen, dann werden selbstverständlich diese Vermietungen zu den Kostenbeiträgen hinzugezählt und da wird es dann natürlich zu Abzügen kommen. Generell kann man sagen, dass es für Menschen mit Behinderung, die in Therapiewerkstätten arbeiten fast ausgeschlossen ist, ein Vermögen aufzubauen, und das ist ja einer unserer ganz großen Kritikpunkte, dass für jeden Menschen ist es zumindest theoretisch möglich und für die Menschen in den Werkstätten ist es eigentlich fast unmöglich und das ist wirklich sehr kritisierenswert und aus menschenrechtlicher Sicht einfach vollkommen unzulässig aber es hat da Verbesserungen gegeben, das möchte ich schon auch erwähnt haben, ja.
Roland Kainz: Warum muss aus Ihrer Sicht die Einkommens- und Bedarfssicherung umgesetzt werden?
Johannes Carniel: Ja weil sie hoffentlich zu mehr Selbstständigkeit des betroffenen Menschen mit Behinderung führt und zu mehr Gerechtigkeit, weil vielleicht sollten wir darüber reden, was es eigentlich bedeutet, wenn die Einkommens- und Bedarfssicherung umgesetzt werden. Der Bereich des Einkommens würde dann bedeuten, dass ich entweder einen Lohn aus meiner Arbeit bekomme, andere Sozialleistungen würden dann wegfallen, wie zum Beispiel eine Waisenrente, die sehr viele erwachsene Menschen mit Behinderung erhalten und über diesen Lohn kann ich dann sowie jeder andere Mensch mein Leben finanzieren. Ich kann mir dann was Nettes zum Anziehen kaufen, ich kann mir mein Essen kaufen und so weiter. Und dann gibt es den Bereich der Bedarfssicherung, da soll ja ein Geld zur Verfügung gestellt werden für Unterstützungsleistungen die ich brauche, weil ich eine bestimmte Behinderung habe. Und diese Zweiteilung finde ich eigentlich sehr sehr wichtig und sehr gut und wie gesagt, also das könnte einfach zu mehr Selbstständigkeit der betroffenen Personen führen.
Das war Teil 1 unserer Episode. In 2 Wochen erscheint Teil 2 unserer Episode mit der Volksanwaltschaft.